Ohne Bienen sind wir Maya, stand 2012 auf T-Shirts von Naturschützern. Damals ging die Welt – anders als vom Maya-Kalender nahegelegt – bekanntlich nicht unter. Sicher, dass die Bienen auch in Zukunft ihren Job als Bestäuber der Landwirtschaft erledigen werden, können wir aber auch nicht sein.
Womit wir auch schon beim Problem sind. Gemeinsam und in Wechselwirkung mit der Klimaerhitzung ist das brisanteste Thema unserer Zeit der Verlust an Biodiversität. „Unsere Wirtschaft hat lange darauf vertraut, dass die Natur funktioniert. Erst wenn diese Funktion verloren geht, merken wir, dass Wirtschaft ohne Natur nicht funktionieren kann“, sagt Henrik Pontzen, Leiter der Abteilung ESG im Portfoliomanagement von Union Investment in der neuen Folge des Börsianer Grün Climate-Action-Podcast.
Darum muss in Biodiversität investiert werden
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Wieso bedroht der Verlust von Biodiversität die Wirtschaft?
Weltweit führt der Verlust von Ökosystemen wie großen Regenwäldern dazu, dass Tiere und Pflanzen verschwinden. Das Thema ist breit und komplex. Nur ein Beispiel: Wussten Sie, dass Moore ein riesiger Speicher von CO2 sind? Oder bleiben wir beim eingangs erwähnten Beispiel: Derzeit kann keine mit allem Geld der Welt finanzierte Technologie den Verlust der Arbeit von Bienen für die Nahrungsmittelproduktion wettmachen.
Laut diversen Berechnungen hängt in etwa 55 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung von funktionierenden Ökosystemen ab. Das entspricht einer Wirtschaftsleistung von etwa 42 Billionen US-Dollar. Nur extreme Wetterkapriolen aufgrund der Klimaerhitzung fürchtet der Risikobericht des Weltwirtschaftsforums in Davos mehr als den Verlust an Biodiversität. Zu lange wurden Umweltkosten externalisiert: sie wurden in andere Regionen oder in die Schuhe der kommenden Generation geschoben. Damit muss zweifellos Schluss sein.
Laut WWF sind die größten Treiber der Naturzerstörung Klimaerhitzung, Umweltverschmutzung, Übernutzung sowie Überfischung von Arten, das Einschleppen von invasiven Arten und die Zerstörung von Lebensraum. Ein zentrales Problemfeld ist die Rodung von Wäldern zur Gewinnung neuer landwirtschaftlicher Flächen sowie Monokulturen. Wenig überraschend sind die größten Verursacher neben dem Bergbau vor allem Unternehmen aus der Nahrungsmittel- und Kosmetikindustrie. Diese hängen paradoxerweise aber mit ihren Geschäftsfeldern sehr stark von einer intakten Natur ab.
Was hat die COP15 gebracht?
Die gute Nachricht: Auf der Artenschutzkonferenz in Montreal 2022 (COP15) wurde ein erster wichtiger Schritt gegen den fortschreitenden Verlust an Biodiversität gesetzt und entsprechende finanzielle Mittel freigegeben. „Ich bin verhalten optimistisch. Die Ziele von COP15 sind ehrgeizig, und sie zeigen, dass man endlich verstanden hat, wie wichtig biologische Vielfalt ist und wie sehr sie mit dem Klimawandel zusammenhängt. Jetzt müssen diese aber umgesetzt werden“, sagt Baiyun Chen, Head Portfolio Advisory Sustainable Investing bei der LGT Bank. Die Anlageexpertin ist sich sicher: Die global vereinbarten Ziele werden den Druck auf Unternehmen erhöhen und dazu führen, dass sie ihre Risikopositionen in Bezug auf das Naturkapital offenlegen und verringern.
Zahlen & Fakten
1.8
Welche Unternehmen verfolgen eine Biodiversität-Strategie?
Denn genau hier liegt das Problem. Viele der großen, börsennotierten Unternehmen haben derzeit nicht einmal eine Biodiversitätsstrategie. Das weiß Henrik Pontzen. Der Leiter ESG im Portfoliomanagement bei Union Investment hat 56 Firmen, in die sein Unternehmen investiert war, zu ihren Maßnahmen hinsichtlich des Erhalts von Biodiversität befragt. Darunter waren nahezu alle relevanten Firmen des Lebensmittelbereichs wie etwa Nestle, Kraft Heinz, Danone, JBS, Kellogg sowie Pepsico und Coca-Cola. Bei Haushalts- und Körperpflegeprodukten wurden Firmen wie Beiersdorf, Henkel, Unilever, Essity (Tempo, Zewa) sowie Procter & Gamble kontaktiert. Das Ergebnis: ernüchternd. Jedes zweite Unternehmen habe trotz Erinnerung nicht reagiert, darunter Kraft Heinz, Kellogg, Pepsico und Coca-Cola sowie Henkel und Essity. Pontzen schließt daraus, dass diese Konzerne sich bislang nicht einmal mit dem Thema beschäftigt haben. Rund ein Drittel habe zumindest erste Schritte gesetzt. Hier ließe sich aufbauen, sagt Pontzen im Gespräch mit dem Börsianer Grün.
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Sein Ratschlag an andere Vermögensverwalter: Jene Unternehmen, die überhaupt keine erkennbare Biodiversitätsstrategie vorweisen können, genau unter die Lupe nehmen und gegebenenfalls aus dem Portfolio streichen. Denn die Risiken in diesem Bereich werden brisant steigen, da sich die rechtlichen Rahmenbedingungen gerade ändern.
Wie kann ich investieren?
Das führt zur Frage: Wie kann man in den Erhalt oder Aufbau von Biodiversität investieren? Gar nicht so leicht, sagen Baiyun Chen und Henrik Pontzen unisono. Die Prozesse und Dependenzen des Ökosystems seien extrem komplex, für eine verlässliche Datenlage braucht es noch einiges mehr an Verständnis als wir heute haben, so Baiyun Chen. Bei der Wahl des Investments kann man versuchen, den Impact von Unternehmen auf die Biodiversität mit ESG-KPIs wie beispielsweise Landnutzung oder Rohstoffbeschaffung zu analysieren – für Privatanlegerinnen und -anleger sei das mit der derzeitigen Datenlage aber kaum möglich.
Mit der Reduktion dieser Komplexität beschäftigen sich Georg Rogl und Birgit Strasser in der Unit Climate Change and Sustainability Services bei EY. „Die wirklich knackigen Kennzahlen gibt es noch nicht“, sagt Rogl. Allerdings seien gerade Rahmenwerke in Arbeit, welche die Bewertung von Unternehmen durch Finanzunternehmen erleichtern. Die Initiative TNFD erarbeitet gerade final ein Rahmenwerk zur systematischen Bewertung und Offenlegung naturbezogener Risiken und Chancen sowie deren monetäre Auswirkung auf Unternehmen. Daneben entwickelt das SBTN eine Methodik zur Setzung von wissenschaftsbasierten Naturzielen (u.a. für Biodiversität, Land, Wasser) durch Unternehmen. Auch die EU-Taxonomie spielt eine Rolle. Die Verordnungen dazu werden noch im Jahr 2023 erwartet, so die Einschätzung von Strasser und Rogl.
Welche Technologien sind entscheidend?
Bereits jetzt lässt sich in einige Fonds und ETFs investieren. Dabei empfiehlt sich aber ein ganz genauer Blick auf das Portfolio. Manche verfolgen einen Best-In-Class-Ansatz, etwa der Fidelity Funds – Sust.Biodiv.Fd.A (LU2514100978). Grün orientierte Anleger sollten hier kritisch die wichtigsten Titel betrachten. Fondsmanager Henrik Pontzen: „Artenvielfalt muss erst einmal zu einem Geschäft werden. Derzeit fällt es noch sehr schwer, aktiv zu investieren.“ Ähnlich sieht es Baiyun Chen von der LGT Bank. Einige Themenfonds aus ihrem Haus fördern auch Biodiversität, ein eigenes Finanzprodukt gibt es derzeit aber zum Thema nicht.
Manche Anlageprodukte wie AXA World Funds-ACT Biodiversity (LU2429084655) oder ESG Eurozone Biodiversity Leaders PAB ETF von BNP Paribas (LU2446381126) investieren in Technologien, die dem Verlust von Technologien entgegenstreben. Einige interessante Firmen aus diesem Bereich sind der Messgerätehersteller Agilent Technologies, Hersteller von Landwirtschaftsgeräten wie Deere & Co oder Andritz AG, Unternehmen zur Lösung von Wasseraufbereitung wie Xylem, oder der spanische Zellstoffhersteller Ence, den die Berenberg Bank im Januar 2023 als Top-Pick führt. Unternehmen, die aktiv den Erhalt von Artenschutz im Geschäftsfeld haben, sind aber derzeit vordergründig noch im Startup-Segment zu finden. „Es gibt einfach noch keine Bienenschutz-AG, in die man investieren kann“, sagt Pontzen. Was nicht ist, kann ja noch werden!
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