Ende März 2023 kam die große Stunde der E-Fuels – jener magischen Substanzen, die bisher nur in Laboren und Versuchsanlagen gesichtet wurden und im letzten Moment die Zukunft des Verbrennungsmotors retten sollten. Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) setzte auf EU-Ebene durch, dass es neuzugelassene Verbrenner-Pkws auch nach 2035 weiterhin geben darf, vorausgesetzt, sie werden mit umweltfreundlichen Kraftstoffen betrieben. Auch in Österreich fand man Gefallen an der Idee. Nur wenige Wochen später im April 2023 lud der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Fachleute zum „Autogipfel“ und betonte dabei die Wichtigkeit von „Technologieoffenheit“, „grünen Verbrennern“ und daher auch den E-Fuels für den Industriestandort Österreich, Anfang Juni inszenierte Nehammer einen weiteren „Autogipfel“ mit Vertretern von Autofirmen und Industrie sowie dem steirischen Landeshauptmann Christopher Drexler. Gemeinsame Botschaft: E-Fuels sollen als technologische Alternativen zur E-Mobilität gesehen werden und gegen ein Verbrenner-Aus auf EU-Ebene aufzutreten.
Viel Strom für wenig Sprit
Im Gegensatz zu Nehammer und Wissing mag Simon Pratschner den Begriff „E-Fuels“ nicht besonders. Dieser sei emotional bereits zu sehr aufgeladen. „Ich verwende lieber ‚synthetische Kraftstoffe‘ oder ‚synthetische Energieträger‘“, sagt der Projektassistent am Institut für Verfahrenstechnik der Technischen Universität Wien (TU Wien). Denn die Technologie hinter den E-Fuels könne viel mehr als nur die Erzeugung von Treibstoffen. „Ich finde es ärgerlich, wenn sich politische Akteure zu dem Thema lautstark äußern, und man merkt, dass es an Grundlagenwissen fehlt“, sagt Pratschner.
Climate Fact
Wie entstehen E-Fuels?
Was sind E-Fuels genau, und was macht sie für manche zu den Hoffnungsträgern für die grüne Mobilität? Sie sind die klimafreundliche Alternative zu Diesel, Kerosin, Schiffstreibstoff, Schmierstoffen, Basis-Chemikalien und was sonst heute noch aus fossilem Erdöl hergestellt wird. Wie das E im Namen andeutet, werden sie mithilfe von (grünem) Strom hergestellt. Der Prozess verbraucht bereits in der Herstellung des Endprodukts viel Energie. „Mit 100 Kilowattstunden grünen Stroms kann ich einen Kraftstoff herstellen, der etwa 50 bis 60 Prozent dieser Energie enthält“, rechnet der TU-Experte vor. „Bei einem Verbrennungsmotor würden davon wiederum nur etwa 20 Prozent in Bewegungsenergie umgesetzt werden. Daher kommt der von vielen zu Recht kritisierte geringe Wirkungsgrad, wenn man Pkws mit E-Fuels betanken würde.“ Zum Vergleich: Bei einem batterieelektrischen Auto schaffen es rund zwei Drittel der Energie von der Steckdose auf die Reifen.
Absage an Pkws und LKWs
Hinzu kommt, dass auch in Zukunft nur relativ geringe Mengen an synthetischen Kraftstoffen zur Verfügung stehen werden. Laut einer Analyse des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) aus dem Vorjahr würden die weltweit bis 2035 geplanten Produktionsanlagen gerade einmal zehn Prozent des „unverzichtbaren“ Bedarfs in Deutschland decken können. Gemeint sind Energieträger für den Flugverkehr, die Schifffahrt oder chemische Industrie, für die es technisch keine klimaneutrale Alternative gibt. Selbst unter der sehr optimistischen Annahme, dass die globale Produktion so schnell wachsen wird wie in der Vergangenheit der Solarstrom, reicht es gerade einmal für 50 Prozent des deutschen Bedarfs.
Und wie sieht es bei dem dafür nötigen grünen Strom in Zukunft aus? Falko Ueckerdt, Forscher am PIK und einer der Autoren der Analyse, ist etwas zuversichtlicher: „Anlagen für grünen Strom sind etabliert, rund zwei Jahrzehnte weiter in der Entwicklung und Verfügbarkeit als E-Fuels und grundsätzlich kein Engpass mehr.“ Auch bei der Herstellung von grünem Wasserstoff ist die Entwicklung schon etwas weiter, aber sie stelle immer noch einen Engpass dar: „Die Elektrolyse steht auch noch am Anfang des Markthochlaufs, und die meisten Projekte haben keine finale Investitionsentscheidung“, sagt Ueckerdt. Insgesamt sei es daher aus heutiger Sicht unsicher, ob die E-Fuel-Produktion bis 2050 allein für den globalen Flugverkehr ausreichen werde. „Diese Knappheit gilt umso mehr, wenn man Industrie und Schifffahrt hinzunimmt“, so Ueckerdts Fazit.
Eine klare Absage an Verbrenner-Pkws und -Lkws, die in Zukunft mit E-Fuels fahren, erteilte das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Weder ökonomisch noch ökologisch sei dieses Ziel sinnvoll, schrieben die Autoren um Professor Martin Wietschel, Leiter des Competence Centers Energietechnologien und Energiesysteme, bereits vor einem Jahr in einem Diskussionspapier. „Aus Innovationssicht gesehen könnten notwendige Initiativen in Richtung Elektromobilität oder andere alternative Mobilitätsformen verlangsamt werden“, befürchtet Wietschel.
Autokonzerne unter Strom
Derweil werden in Teilen der Autoindustrie selbst die Weichen in Richtung Elektromobilität gestellt, auch wenn die großen Umsätze noch immer mit Fahrzeugen mit Diesel- und Benzinantrieb gemacht werden. Audi-Vorstandsvorsitzender Markus Duesmann verkündete in einem „Spiegel“-Interview, seinen Konzern bis 2033 auf reine E-Mobilität ausrichten zu wollen. Vom europäischen Gesetzgeber forderte er Klarheit und damit Planungssicherheit und kritisierte die Aufweichung des Verbrennerverbots: „Das birgt die Gefahr einer Hängepartie, und die wäre für die Autoindustrie fatal.“ Die E-Fuels im Straßenverkehr sieht Duesmann allenfalls in der Bestandsflotte, die nach 2035 noch eine Weile betankt werden muss. Die Gegenposition nimmt die Porsche AG ein, die sich für den Verbrennungsmotor einsetzt und sogar an einem E-Fuel-Projekt in Chile beteiligt ist. „Mit Blick auf Verbrennerfahrzeuge sind E-Fuels eine sinnvolle Ergänzung im Bestand und in der Nische“, sagte Porsche-Chef Oliver Blume im Vorjahr bei der Bilanzpräsentation. Mit einer der Gründe: Den Sportwagenklassiker Porsche 911 wolle man „so lange wie möglich“ auch als Verbrenner anbieten können. Es spielen hier also nicht nur nüchterne ökonomische Überlegungen eine Rolle, sondern auch Emotionen und Symbolik, die mit dem Motorengeräusch mitschwingen.
Bei den Zulieferern der Autohersteller zeigt sich wenig überraschend ein ähnliches Bild. Die Top Ten der deutschen Autozulieferer befinden sich mehr oder weniger fortgeschritten in der Transformation ins Zeitalter der Elektroautos. Die oberösterreichische Miba-Gruppe, die noch 40 Prozent der Umsätze im Automotive-Sektor macht, verdankt ihr Wachstum zu großen Teilen der E-Mobilität, profitiert aber auch von der Energiewende. Das Geschäft mit den Bauteilen für Windkraftwerke hat sich binnen zwei Jahren verdreifacht, gab das Unternehmen unlängst bekannt. Anders sieht es der ebenfalls aus Österreich kommende Technologiekonzern AVL, der gleich selbst in die Produktion von E-Fuels eingestiegen ist. Mit einer Anlage in Graz will man zunächst 100.000 Liter pro Jahr erzeugen. Allerdings stellte Projektleiter Jürgen Rechberger bereits mehrfach klar, dass die Technologie in den nächsten Jahrzehnten sicher nicht für den Straßenverkehr gedacht ist, weil es schlicht zu wenig synthetische Kraftstoffe geben wird.
Ausgebremst
Wie kommt es also, dass gerade der wirtschaftsnahe Fansektor der Spitzenpolitik in Deutschland und Österreich bereits von klimafreundlichen Verbrennerautos träumt, bevor überhaupt nennenswerte Mengen an E-Fuels produziert werden können? PIK-Forscher Falko Ueckerdt erkennt hierin die Partialinteressen von Teilen der Industrie und einen Versuch, die Wende zur E-Mobilität zu bremsen. „Es ist wahrscheinlich, dass die Pkw-Flottengrenzwerte, die bisher das Hauptinstrument dieser Umstellung ist, in den nächsten Jahren von Teilen der Industrie und Politik angegriffen wird“, vermutet Ueckerdt. Letztlich auf Kosten des Klimaschutzes, aber nicht nur: „Ironischerweise ist das auch riskant für den Wirtschafts- und Automobilstandort von Ländern wie Deutschland, die damit den Anschluss an die Zukunftstechnologie Elektromobilität verlieren könnten.“