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Pipeline
Soeren Stache/dpa-Zentralbild/ZB
Von Antonia Hotter
Und wenn Putin das Gas abdreht?
Der Krieg in der Ukraine legt offen, wie abhängig Europa von Gaslieferungen aus Russland ist. Der Finanzmarkt reagiert mit steigenden Energiepreisen. Für die Industrie ist das eine ernsthafte Bedrohung – wie Notfallpläne der Staaten aussehen und was die aktuelle Situation für die Energiewende bedeutet.
März 2022
ist Analyst bei der deutschen Commerzbank AG. Nur wenige glauben dem Volkswirt, dass Aktienmärkte immer noch Spaß machen. Am besten entspannt er beim Musikhören am Sofa. Wenn er mehr Zeit hätte, würde er diese für Sport nutzen.
leitet das Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in München, kurz ifo. Ihre wissenschaftliche Karriere begann an der Technischen Universität Chemnitz, später wechselte Pittel an die ETH Zürich. Seit 2010 lehrt die Volkswirtin an der Universität München.

Ein sofortiger Importstopp von russischem Gas würde zu schweren wirtschaftlichen Schäden im eigenen Land führen, betont der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck. „So ein Statement allein würde mich aus Sicht Putins schon freuen“, sagt Karen Pittel. Sie leitet am Münchner ifo Institut das Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen. Europa sei erpressbar: Deutschland bezieht 54 seines Erdgases aus Russland, die Schweiz 44 Prozent, Österreich 80 Prozent. Der günstigere Preis schlug bisher das Risiko, die Folgen sieht Europa jetzt.

Ein Gas-Lieferstopp wäre für die russische Seite die ideale Gegensanktion, weil sie mit relativ geringen Kosten für Russland und großem wirtschaftlichen Schaden für Europa einherginge. Gefährlich wird das für Deutschland erst im Sommer, wenn die Gas-Lager wieder gefüllt werden müssen. „Da wir alle nicht wissen, was Putin in den nächsten Wochen und Monaten machen wird, ist der Markt sehr nervös und die Gaspreise sind entsprechend hoch“, sagt Ulrich Leuchtmann, Analyst bei der Commerzbank AG, im Börsianer Grün Klimapodcast.

Und wenn Putin das Gas abdreht?





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Zuletzt stirbt die Hoffnung

Ein Embargo von russischem Öl könnte Europa leichter verkraften und durch Lieferungen aus anderen Förderländern ersetzen. Bei russischem Gas ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass man es vollständig substituieren kann. „Das hängt stark davon ab, wie gut auf europäischer Ebene zusammengearbeitet wird“, erklärt Pittel.

Es müssten „Dutzende von Vorschriften überarbeitet, übliche Verfahren und Abläufe angepasst, schnell viel Geld ausgegeben und harte Entscheidungen getroffen werden“, stellt die belgische Denkfabrik Bruegel fest, deren Mitglied die französische Nationalbank ist. In vielen Fällen werde die Zeit für perfekte Antworten fehlen.

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„Wenn ich mich daran erinnere, wie schwierig es war, Corona-Impfstoffe in Europa zu verteilen, könnte ich mir vorstellen, dass die Verteilung von Gas auch wieder zu Problemen führen könnte.“

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Ulrich Leuchtmann, Analyst Commerzbank AG

Bei einer Gas-Knappheit würden Notfallpläne der einzelnen europäischen Staaten greifen. In der Regel würde zunächst die Versorgung von besonders energieintensiven Branchen eingestellt. Dazu zählen Teile der Chemieindustrie, die Metallbranche und die Papierherstellung. Dann müssten Unternehmen mit weniger Energiebedarf Gas sparen und erst zuletzt die privaten Haushalte. „Kein Politiker will, dass seine Wähler frieren müssen“, erklärt Leuchtmann.

Die Rückkehr zur Systemrelevanz

Für energieintensive Unternehmen ist die Lage bereits jetzt schwierig. Viele decken einen überwiegenden Teil ihres Energieverbrauchs mit Gas. Die Lech-Stahlwerke in Bayern haben bereits ihre Produktion gestoppt. Sie lohnt sich aufgrund der hohen Strompreise nicht mehr. Im südlichen Österreich steht die Papierfabrik Nordske Skog wegen der gestiegenen Gaspreise still.

Andere Konzerne gehen auch im Fall einer Gas-Knappheit nicht von einem Lieferstopp aus. So etwa die im ATX Index notierte Mayr-Melnhof Karton AG: Verpackungen für Lebensmittel und die Pharmaindustrie seien systemrelevant, heißt es auf Nachfrage des Börsianer Grün. Unternehmen wie der Pharmakonzern Bayer AG und der Stahlproduzent Voestalpine AG halten sich bedeckt: Man wolle über die weitere Entwicklung nicht spekulieren.

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Schrumpft die Wirtschaft bald wieder?

Auf den Finanzmärkten bestünde bei einem Gas-Embargo das Risiko einer Rezession. Diese wäre unvermeidlich, wenn die Energiepreise auf dem derzeitigen Niveau bleiben. „Das haben die Aktienmärkte in den letzten Tagen und Wochen schon eingepreist“, sagt Leuchtmann. Ein wahrscheinlicheres Szenario geht von positiven Wachstumsraten aus. „Menschen wollen jetzt wieder auf Urlaub fahren, ihr Geld ausgeben. Das kurbelt die Konjunktur an, wird aber durch die steigenden Rohstoffpreise gedämpft“, erklärt Pittel.

Energiewende weiterhin machbar

Was bedeutet all das für den Ausbau der Erneuerbaren? Indizien weisen darauf hin, dass die Energiewende unter der aktuellen Situation leidet. Es gibt Überlegungen, den Kohle- und Atomausstieg nach hinten zu verschieben oder auszubauen. Zusätzlich senden Politiker wie der deutsche Finanzminister Christian Lindner Signale, hohe Spritpreise zu subventionieren. All das sind Ausgaben, die den Staatshaushalt zusätzlich belasten und auf Kosten von Investitionen in erneuerbare Energieträger gehen können.

Für ifo-Volkswirtin Pittel und Commerzbank-Analysten Leuchtmann überwiegen allerdings die Vorteile der aktuellen Situation. „Je höher Öl- und Gaspreise sind, desto schneller geht der Ausstieg aus fossilen Energien voran“, sagt Leuchtmann. Ein hoher Öl- und Gaspreis führe zu Einsparungen im Energiebereich, das habe man schon bei der Ölpreiskrise in den 1970er-Jahren beobachten können. Der Anreiz, Erneuerbare noch schneller auszubauen, sei größer. Kohlekraft und Atomstrom versteht Leuchtmann als Zwischenlösungen, die daran grundsätzlich nichts ändern.

Pittel rechnet mit steigender Akzeptanz und weniger Klagen: „Der deutschen Bevölkerung wird jetzt bewusst, dass der Ausbau der Erneuerbaren nicht nur Klimavorteile hat.“ Durch den Ukraine-Krieg sehe sie keine Umkehrungstendenzen für die Energiewende: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die 2030er-Ziele nach wie vor erreichen können“, sagt die Energie-Expertin. Viel schneller werde es allerdings nicht gehen.

Für den Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis 2030 müsse der Ausbau der Erneuerbaren bereits zwei- bis dreimal so schnell vorangehen wie bisher, erklärt Pittel. Damit das gelingt, sei eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren notwendig, ebenso wie eine Vereinheitlichung der Naturschutzregeln in den unterschiedlichen Bundesländern. Momentan gebe es bei Ausschreibungen von Windkraftanlagen nicht genug Bieter. Der Ukraine-Krieg zeigt, wie dringend notwendig die Energiewende ist und stellt kein Hindernis für sie dar, aber die Probleme, die es bereits vor Kriegsausbruch gab, müssen nach wie vor gelöst werden.

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Wenn kein russisches Gas mehr nach Europa fließt, besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass es vollständig substituiert werden kann. Die Industrie hat bereits jetzt Schwierigkeiten, kostendeckend zu produzieren. Energieintensive Bereiche müssen bei einem Lieferstopp mit Zwangsabschaltungen rechnen. Die Energiewende ist wichtiger denn je und ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis 2030 weiterhin realistisch.

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