30 Grad Mitte Mai, dramatisches Abschmelzen der Gletscher: Das sind untrügliche Zeichen für den rasch fortschreitenden Klimawandel. Die Umstellung des gesamten Lebens, der Wirtschaft auf erneuerbare Energien ist alternativlos. Doch können die Industrieunternehmen die erwartbar höheren Energiekosten tragen? Kann der Wandel ohne Rezession erfolgen?
Das Rennen um die Energiewende
–
00:00
Österreich will bis 2030 den gesamten Strom aus erneuerbaren Energien decken (derzeit sind rund 70 Prozent des Stroms erneuerbar), Deutschland deren Anteil von rund 50 auf 80 Prozent heben und die Schweiz versucht mit der Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke den CO2 – Ausstoß zu reduzieren. Allerdings macht Strom nur ein Drittel des gesamten Energiebedarfs in allen drei Ländern aus. Und schon die Umstellung dieses Drittels auf CO2-frei wird eine enorme Aufgabe. Denn es geht nicht nur darum, viele neue Windräder und Photovoltaikanlagen zu errichten, um die Stromproduktion klimafreundlicher zu machen, sondern auch darum, einer rasant steigenden Nachfrage nach Elektrizität nachzukommen. Der Grund: E-Autos statt Benziner und Diesel-Fahrzeuge, elektrisch betriebene Wärmepumpen statt Gasheizungen, Digitalisierung des gesamten Lebens, unter Einsatz von Strom hergestellter Wasserstoff, der in der Industrie Erdgas ersetzt – ein Strukturwandel, der nicht nur teuer sondern auch kaum zu schaffen ist.
Ulrich Streibl, Chef der Oekostrom AG, kann den oft zitierten düsteren Auswirkungen der Energiewende auf die Wirtschaft nichts abgewinnen, wie er im Climate-Action-Podcast des Börsianer Grün erzählt. „Das ist ein Strukturwandel, der viele positive Effekte hat. Gerade in Österreich, wo die Unternehmen im Bereich der Umwelttechnik Weltspitze sind“, sagt Streibl. Für ihn ist die Energiewende nicht eine Frage des Ob sondern des Wie. „Wie können wir sie beschleunigen?“, steht für den Oekostrom AG-Chef im Mittelpunkt. Denn: Die Abkehr von den fossilen Energien sei alternativlos. Anderenfalls sei der Planet Erde irgendwann nicht mehr bewohnbar.
Mehr Mut und Tempo gefragt
Mit seiner Forderung nach zusätzlicher Dynamik beim Ausbau der Eneuerbaren steht Streibl nicht allein da. Auch der Schweizer Bundesrat macht sich Sorgen, wie das Land die Klimaziele erreichen kann. Er hat zunächst den diskutierten Ausstieg aus der Atomkraft aufgeschoben. Das Problem beim Ausbau der Erneuerbaren löst er damit aber nicht. So wie in Österreich und Deutschland, kommt auch die Schweizer Energiewirtschaft damit viel zu langsam voran. „Bis in der Schweiz ein Projekt für erneuerbare Energien realisiert werden kann, vergehen in den allermeisten Fällen mehr als zehn Jahre vom Projektstart bis zur Umsetzung“, heißt es beim Schweizer Energiekonzern BKW Energie AG. Auch in Österreich sind Bürgerwiderstände gegen neue Windparks oder großflächige Photovoltaik-Felder an der Tagesordnung. „Das Aufstellen eines Windrades geht schnell, aber bis alle Genehmigungen durch sind, dauert es oft bis zu neun Jahre“, erzählt Streibl.
Newsletter
börsianer grün briefing
Werde mit unserem exklusiven Climate-Action-Briefing (14-tägig) zum Sustainability-Leader. Nicht morgen, sondern jetzt!
Newsletter
börsianer grün briefing
Werde mit unserem exklusiven Climate-Action-Briefing (14-tägig) zum Sustainability-Leader. Nicht morgen, sondern jetzt!
Kaum anders ist die Lage in Deutschland. Dort steckt zum Beispiel der Ausbau der wichtigen Nord-Süd-Leitung, die Windstrom aus der Küste nach Bayern bringen soll, seit Jahren fest. Nordex-Finanzvorstand Ilya Hartmann geht der Ausbau generell nicht schnell genug: „Im Jahr 2021 hat die EU27 elf Gigawatt Leistung mit neuen Windturbinen errichtet – das ist nur die Hälfte dessen, was erforderlich ist, um das Ziel von 40 Prozent erneuerbarer Energie in 2030 zu erzielen. Das Problem in Europa und in Deutschland ist nicht eine fehlende politische Ambition, sondern die Regelungen und gesetzlichen Vorgaben im Genehmigungsprozess sind schlicht zu komplex und brauchen zu lange.“ Dazu kommt, dass es in Deutschland bisher zu wenige ausgeschriebene Flächen zur Nutzung der Windenergie an Land und auch unterschiedliche länderspezifische Regelungen, wie die 10-H-Regel gibt, die den Ausbau einschränken. „Viele Projekte werden zudem beklagt. Es geht jetzt darum, diese Hürden, die in den vergangenen Jahren den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland und in Europa behindert haben, schnellstmöglich zu beseitigen“, sagt Hartmann zum Börsianer Grün.
Ulrich Streibl fordert als Antwort darauf einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, ohne den die Energiewende nicht klappen wird. Die Politiker bräuchten mehr Mut, Mut Entscheidungen zu treffen und den Bürgern zu sagen, dass es keinen anderen Weg gebe als Ökostromanlagen rasch und in großem Ausmaß auszubauen.
Zahlen & Fakten
0
Wasserstoff für die Industrie als Lösung
Die Lösung für die Industrie liegt im Wasserstoff. Das ist europaweiter Konsens. Wasserstoff, gewonnen in der Elektrolyse unter Einsatz von grünem Strom, soll Erdgas aus dem Produktionsprozess verdrängen. Dieses Verfahren ist zwar seit langem bekannt, ist aber bisher an zu hohen Kosten gescheitert. Der rasante Anstieg der Energiepreise wegen des Ukraine-Kriegs hat die Kostenrelationen allerdings derart verschoben, dass Wasserstoff mittlerweile wettbewerbsfähig ist.
Dass die Energiewende machbar ist, ist aus technischer Sicht völlig klar, meint auch Wolfgang Hribernik, Leiter des Center for Energy am Austrian Institut of Technology (AIT). Gescheitert sei der Ausbau bisher an zu hohen Kosten.
Streibl ist überzeugt, dass die Preise für erneuerbare Energien mittelfristig deutlich sinken werden. Auch wenn das Energiepreisniveau, das vor dem russischen Angriff auf die Ukraine herrschte, nicht mehr erreichbar sein dürfte, ist für den Oekostrom AG-Chef sicher: „Billiger als jetzt wird es allenfalls“.
Meine Grüne Rendite
printmagazin
Das Börsianer Grün-Magazin
Der Börsianer Grün ist das Leitmedium für Nachhaltigkeit in der D-A-CH-Region und soll allen Topentscheidern aus Wirtschaft, Finanz und Politik Orientierung geben.